»Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.«
So steht es in der Luther-Übersetzung. Ich habe in diesem Blog bewusst die Luther-Bibelübersetzung gewählt, weil diese Version des Vaterunsers am geläufigsten ist. Je nachdem durften oder mussten wir sie im kirchlichen Unterricht auswendig lernen und beten sie noch heute in den meisten Kirchen. Doch wenn wir die Übersetzung von Luther bei diesem Vers wortwörtlich nehmen, wirft sie ein falsches Licht auf Gott. Was wäre das für ein fieser Gott, der uns in Versuchung führen will? Die jüdische Übersetzung spricht nicht von Versuchung, sondern von Prüfung. Wir können also aus diesem Vers nehmen, dass Gott uns prüft. Er prüft unseren Glauben, und das Ziel jeder Prüfung ist, dass unser Glaube stärker wird und wir die Prüfung bestehen.
Aber Gott ist treu und wird nicht zulassen, dass die Prüfung über eure Kraft geht. Wenn er euch auf die Probe stellt, sorgt er auch dafür, dass ihr sie bestehen könnt. 1. Korinther 10,13b GNB
Im zweiten Teil ist die Rede vom Bösen, das uns versucht oder in Versuchung führen will. Versuchung kommt nicht von Gott, sondern vom Gegenspieler, vom Bösen. Sie war schon immer präsent, bereits im Paradies, in Form der Schlange. Sie ist nichts, was uns schockieren muss; sie ist das Normalste der Welt. Jesus sagt ein paar Kapitel später zu seinen Jüngern:
»Die Versuchung, Böses zu tun, wird es immer geben.« Matthäus 18,7b NLB
Gott traut uns also zu, in einer Welt voller Versuchung zu leben, in einer gefallenen Welt. Warum würde ein liebender Vater seinen Kindern so etwas antun oder zumuten? Weil er sie nicht im Stich lässt. Weil er immer da ist. Es ist, als würde ein Vater oder eine Mutter ihrem Kind das Fahrradfahren oder Schwimmen beibringen wollen. Wo sind Mutter und Vater? Immer einen Schritt hinter dem Kind, so nah, dass sie sofort eingreifen können, wenn etwas schief geht oder gefährlich wird. Doch der Zeitpunkt kommt, an dem sie das Kind loslassen müssen, sonst lernt es nie selbstständig schwimmen oder Fahrrad fahren.
Gott bewahrt uns nicht vor Versuchungen, denn sie gehören zu unserem Leben. Sie helfen uns, auf Gott zu hören, nach seinem Willen zu fragen und um seine Hilfe zu bitten. Versuchungen sind wie Trainingseinheiten; sie machen uns stärker und reifer und ermöglichen uns, seine Gegenwart, seine Hilfe und seine Macht zu erleben. Nur weil wir Gott nicht immer sehen oder spüren, heißt das nicht, dass er nicht da ist. Er ist immer da, nur ein Gebet entfernt, ein Hilferuf entfernt. Sein Name ist Programm und Realität. Gott ist für uns da, für immer und ewig. Er möchte, dass wir im Glauben stärker werden, Prüfung um Prüfung, und er lässt uns dabei nie im Stich. Er ist der beste Vater und die beste Mutter in einem!