»Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.«
Wer vergibt hier wem zuerst? Vergibt Gott zuerst uns alle Sünden und danach vergeben wir denen, die uns verletzt haben? Das wäre völlig logisch und nachvollziehbar. Schließlich ist Gott Gott; er weiß am besten, wie Vergeben geht, er hat es schließlich erfunden! Und wir sind ja nur Menschen, für uns ist es viel schwieriger. Doch wenn wir diesen Vers im Urtext anschauen, klingt er so:
»Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben haben unsern Schuldigern.«
Hier sehen wir eindeutig, dass wir Menschen zuerst vergeben müssen. Das ist ein echter Schock! Gott, was traust du uns da zu? Wie soll das möglich sein? Wir sind doch nur Menschen und nicht so souverän wie du! Doch Jesus macht unmissverständlich klar, wie die Reihenfolge nach Gottes Willen sein soll. Das wird deutlich in den folgenden Versen:
»Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.« Matthäus 6,14–15
Das tut jetzt schon fast ein bisschen weh: Wenn wir nicht bereit sind, anderen zu vergeben, wird Gott auch uns nicht vergeben. Darf er das? Ist das legal? Na ja, er ist Gott. Wer kann Gott schon etwas vorschreiben! Lass uns weiter darüber nachdenken. Damit wir bereit werden, anderen Menschen zu vergeben, muss etwas Wichtiges passieren. Wir müssen eine der zentralsten Tatsachen der Menschheit verstehen: Wir alle sind Sünder! Wir alle machen Fehler! Auch diejenigen, die keine Bank überfallen haben, keinen Krieg angezettelt, keinen Ehebruch begangen und keinen Mord verübt haben. Ja, sogar Gläubige machen Fehler, sogar solche, die jeden Sonntag in die Kirche gehen und regelmäßig in der Bibel lesen.
Kein einziger Mensch hat das Anrecht, aufgrund seiner guten Taten und Worte in den Himmel hineinzustolzieren. Das alles reicht nicht aus. Gott ist zu 100% rein, heilig, makellos, perfekt, ohne einen Funken Böses. So muss ein Mensch sein, um direkt in Gottes Gegenwart bestehen zu können: fehlerfrei.
Diese Erkenntnis löst eine von Gott gewollte Demut in uns aus. Gott braucht keine stolzen Anhänger auf hohen Rossen; er braucht barmherzige Samariter, die von ihren Eseln herabsteigen, um den Verletzten wieder aufzuhelfen. Was Gott hier von uns verlangt, ist alles andere als einfach. Wir alle haben schon Verletzungen erfahren, und manche davon erscheinen fast unmöglich zu vergeben. Jesus versteht uns; er weiß genau, wie sich das anfühlt. Jesus wurde von seinen engsten Freunden und Verwandten nicht verstanden. Er wurde verspottet, verleugnet, verraten, angespuckt, geschlagen, aufs Brutalste ausgepeitscht und unschuldig an ein Holzkreuz genagelt, an dem er einen qualvollen Tod gestorben ist. Anstatt seine Mörder zu verfluchen, sagte er:
»Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Lukas 23,34 LU
Wir sollten die schnellsten und besten Vergebenden auf der ganzen Welt sein, denn uns wird vergeben, wenn wir vergeben. Außerdem glauben wir an einen Gott, der seinen Sohn für all unsere Verfehlungen bereits geopfert hat.
Eine weitere gute Nachricht ist, dass Gott das ideale Übungsfeld dafür gegeben hat: seine Kirche! Sie ist der Boxring für Gottes Vergebung. Ja, so ist es. Gläubige sind nicht perfekt; sie verletzen sich gegenseitig, kommunizieren nicht richtig, verstehen einander falsch und gehen einander auf die Nerven. Gottes Bodenpersonal ist unperfekt, und irgendwie scheint genau das der Plan von Gott zu sein. Er möchte uns lehren, zu vergeben und Vergebung als etwas so Selbstverständliches anzusehen und zu praktizieren wie das Amen in der Kirche.